Liebe Islisbergerinnen und Islisberger, liebe Gäste

Nach den weltweiten Ereignissen der letzten Wochen ist es nicht einfach, eine Festrede zu halten. Angesichts des Krieges in Syrien, den blutigen Konflikten im Gaza-Streifen, im Süd-Sudan, in der Ukraine und in zahlreichen anderen Regionen im Nahen Osten, im Bewusstsein der tagtäglichen Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer und der vielen unschuldigen Opfer von Terrorakten, Gewalt und Unterdrückung ist es kaum angemessen, das Loblied auf das Erfolgsmodell Schweiz zu singen und uns selbstgefällig auf die Schulter zu klopfen, wie es sonst zum Nationalfeiertag üblich ist.

Natürlich ist unser Land von vielen Krisen verschont worden, weil wir ein funktionierendes demokratisches System besitzen, in dem jeder und jede sich beteiligen kann und das auf einen Ausgleich der Kräfte ausgelegt ist. Doch dieses System ist weder Gott gegeben noch liegt es in den Genen von Herrn und Frau Schweizer, sondern ist das Resultat eines langen Prozesses, der in seinen Grundzügen ebenso blutig und gewalttätigt war wie wir es aktuell in vielen Staaten Nordafrikas, der ehemaligen Sowjetunion und im Nahen Osten erleben.

Die Alte Ordnung war ein striktes Klassensystem, mit Untertanengebieten, unterdrückten Bevölkerungsschichten und machtpolitisch motivierten Feldzügen. Vor 300 Jahren ging der zweite Villmergerkrieg, in dem sich Katholiken und Protestanten bekämpften, als einer der blutigsten in die Geschichte der Eidgenossenschaft ein. Es brauchte einen fremden Despoten wie Napoleon, um die verfeindeten Blöcke in eine Staatsordnung zu zwingen. Und auch der junge Bundesstaat war geprägt von heftigen Auseinandersetzungen zwischen den katholisch Konservativen und den protestantisch liberalen Kräften. Auch ist es gerade einmal 100 Jahre her, seit das letzte Mal die Schweizer Armee gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt worden ist! Jede Demokratie braucht ihre Zeit, um den Kinderkrankheiten zu entwachsen und sich zu festigen. Der Schweiz ist diese Zeit auch dank äusseren Umständen geschenkt worden. Unser Land besitzt keine Rohstoffe, die das Interesse der Grossmächte geweckt hätten, wie dies in Afrika, am Persischen Golf oder in ehemaligen Sowjetgebieten der Fall ist. Wichtig für die umliegenden Staaten waren einzig die Verkehrswege über die Alpen. Das mag mit ein Grund gewesen sein, dass der Wiener Kongress 1815 die Schweizer Neutralität festsetzte. Auch dieser Entscheid wurde also von „fremden Richtern“ gefällt!

Was die Schweizer aber schon immer auszeichnete und was wohl mit ein Grund für den Erfolg des direktdemokratischen Systems war, ist die Sachlichkeit, die Nüchternheit in der Betrachtungsweise und das Abwägen von Vor- und Nachteilen. Der bedächtige Schweizer – ein Cliché, aber eben auch ein Erfolgsmodell, weil er sich kaum zu unüberlegten Schnellschüssen hinreissen lässt. Zudem beruft sich unsere Verfassung auf Gott – und diese christliche Werthaltung bildete die Grundlage des politischen Handelns und sollte es auch in Zukunft tun.

Natürlich ist dies ein Idealbild. Schon immer war die Politik geprägt von wirtschaftlichen Interessen, von Machtstreben und Einflussnahme. Und doch war das Allgemeinwohl Leitfaden und Richtschnur aller Entscheidungen, denn andernfalls hätte das Stimmvolk korrigierend eingegriffen.
Wie aber hat sich unsere Gesellschaft nach 200 Jahren Demokratie und Neutralität entwickelt? Unser Wohlstand hat sich fraglos vermehrt und ist auf einem Niveau, wie es noch vor 50 Jahren kaum vorstellbar gewesen wäre. Das soziale Netz unseres Staatswesens ist so dicht geknüpft, dass für die allermeisten Unglücksfälle Vorkehrungen getroffen sind und wir uns sogar zu der Vorstellung versteigen, dass jegliche Schicksalsschläge durch rechtzeitige Prävention vermeidbar wären. Unsere Technologiegläubigkeit, das Hinterfragen jeglicher Werte und das Streben nach immer weiteren Grenzüberschreitungen erinnern fatal an die Gesellschaft der Belle-Epoque am Vorabend des Ersten Weltkrieges – schöne Neue Welt!
Gleichzeitig sind wir alle aber mit den schier unbegrenzten Möglichkeiten überfordert, eine Entscheidung treffen heisst, 1000 andere Gelegenheiten zu verpassen. Viele sind angesichts des komplexen Alltages nicht mehr in der Lage, Verantwortung für sich und ihr Handeln zu übernehmen, also muss der Staat in die Bresche springen. Die steigenden Forderungen und Erwartungen an den Staat führen zu neuen teuren Aufgaben, was wiederum den Staat und die Steuerzahler überfordert.

In der Gesellschaft hat diese Entwicklung ebenfalls weitreichende Folgen. Durch den individuellen Wohlstand ist der Einzelne nicht mehr auf seinen Nachbarn und seine Mitmenschen angewiesen, er ist frei und unabhängig. Im Notfall kann er auf staatliche und daher anonyme Leistungen zurückgreifen, er muss sich nicht von anderen Menschen abhängig machen und schuldet gleichzeitig seinen Mitmenschen auch nichts. Auf die staatliche Unterstützung hat er ja ein Anrecht!
Für die Beziehungsfähigkeit innerhalb einer Gesellschaft ist diese Haltung fatal, sind doch verlässliche Bindungen ein Grundbedürfnis des Menschen und geben ihm in seinem Leben Halt. Aber die Beziehungslosigkeit zeigt sich nicht nur im Verhalten der Menschen untereinander, sondern auch in der viel zitierten Wegwerfmentalität bezüglich Nahrungsmitteln, Konsumgütern und sogar bezüglich seines Umgangs mit den natürlichen Ressourcen und den Tieren. In dieser Haltung sind natürlich religiöse oder ethische Werte nur Störfaktoren und werden auch relativiert. An ihrer Stelle tritt die Erhaltung unseres Wohlstands als oberstes Gebot. Und dieser Wohlstand scheint uns von allen Seiten bedroht, denn es geht ja allen schlechter als uns, und muss – auch politisch – verteidigt werden.

Vergessen wird dabei, dass wir gerade in unserer relativen Unversehrtheit und in unserer Privilegiertheit auch eine besondere Verantwortung tragen. Die traditionellen christlichen Werte, die Sachlichkeit, das unaufgeregte Abwägen ist uns mehr und mehr abhanden gekommen, gefangen in unseren Verlustängsten und in unserem übersteigerten Sicherheitsgefühl. Wie anders ist es zu erklären, dass wir Panikinitiativen wie die Zuwanderungsinitiative annehmen mit dem Argument des Dichtestresses, gleichzeitig unsere Gemeinden – unsere Region ist ein Paradebeispiel dafür – mit direktdemokratischer Legitimation aber zubetonieren und dies auch noch als „zukunftsfähige Entwicklung“ bezeichnen. Oder dass wir immer wieder und nicht nur am 1. August stolz unsere Freiheit hervorstreichen, gleichzeitig aber nach immer mehr Regeln und Gesetzen schreien, alles im Namen einer höheren Sicherheit in unserem ach so gefährlichen Alltag. Oder – und nun wird es wirklich zynisch – die humanitäre Tradition unseres Landes wie einen Siegermuni zur Schau stellen, Verschärfungen im Asylrecht damit begründen, Wirtschaftsflüchtlinge abhalten zu wollen und damit den echten Flüchtlingen die Tür aufzumachen und nun, angesichts der humanitären Katastrophe in Syrien mittels einer Initiative eine Aufnahme von Asylanten in der Schweiz gar verunmöglichen wollen. Wer, wenn nicht die syrischen Familien, sind denn echte, an Leib und Leben bedrohte Flüchtlinge und bedürfen unseres Schutzes?

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, das Volk ist in der Schweiz der Souverän. Aber was heisst das? Souverän bedeutet einerseits „die staatlichen Hoheitsrechte ausübend“, andererseits aber auch „beherrscht, besonnen, über den Dingen stehend“. Genau diese Souveränität ist uns in den letzten Jahren verloren gegangen. Wir lassen uns von Ideologien, von einer Empörungskultur und von Tagesaktualitäten treiben und zu einem Pseudo-Handeln zwingen. „Besonnenheit“ oder eben die typisch schweizerische Bedächtigkeit wäre wieder stärker gefragt, um unsere Souveränität wieder zu erlangen. Das bedingt aber auch, dass wir mit unseren Mitmenschen, mit unserer Umwelt, mit unserer Gesellschaft wieder stärker in Beziehung treten, um deren Befindlichkeit und deren Bedürfnisse zu erkennen, um in der Lage zu sein, ein Problem von allen Seiten zu betrachten und dieses auch an unserer ethischen Werteskala zu messen. Nur so können überlegte und hoffentlich weise und gerechte – eben souveräne – Entscheide gefällt werden.

Darum ist eine gelebte Dorfgemeinschaft so wichtig, gerade in der direkten Demokratie. Wir alle prägen die Zukunft unserer Gemeinde mit, sind Teil der Gesellschaft und Vorbild für die nächste Generation. Ein Dorffest bringt die Gelegenheit, sich wieder einmal ungezwungen zu treffen, auszutauschen, zu feiern und ist so ein wichtiger Kitt für den Zusammenhalt in Islisberg. Ich danke deshalb allen Helferinnen und Helfern, dass sie mit ihrem Einsatz dieses Fest ermöglichen und wünsche uns allen einen souveränen Umgang mit den Herausforderungen unserer Zeit.