Meine Gastrede am traditionellen Dreikönigsanlass in Bremgarten

 

Gedanken zum neuen Jahr 2011

Liebe CVP-Familie, liebe Gäste

Es ist für mich eine grosse Ehre, heute meine Gedanken zum neuen Jahr äussern zu dürfen. Aber das geht wohl nicht, ohne kurz eine Rückblick auf das vergangene Jahr zu machen. Meine Tochter hat das 2010 einmal beim Nachtessen sehr kompakt zusammengefasst: „Drei Jahrhundertereignisse im gleichen Jahr: der Vulkanausbruch, die Ölpest und der viele Schnee!“
Ja, man könnte schon nachdenklich werden: Abgesehen von den Naturereignissen und die menschlich verursachte Ölkatastrophe im Mexikanischen Golf kommen noch die politischen Faktoren dazu: die Euro-Krise, die Verhärtung der Religionen gegenüber andersgläubigen, das Auseinanderdriften der Gesellschaft, allgegenwärtige Gewalt, nicht zuletzt auch der politische Ton ist rauer geworden. Einen depressiv veranlagten Charakter könnten da schon apokalyptische Gedanken hegen.
Zwei, drei Generationen vor uns hätten die Menschen angesichts dieser Lage zu Gott gerufen, hätten Messen lesen lassen oder sogar Bittprozessionen veranstaltet. Heute wird der Ruf nach der Politik und dem Staat laut: „Die sollen endlich einmal etwas tun, wieso reagiert die Politik so langsam! Wo bleibt hier der Staat, wieso macht er keine entsprechenden Gesetze!“
Gewiss, viele Probleme finden auf einer übergeordneten Ebene statt und müssen daher durch die Politik angepackt werden. Öffentliche Sicherheit, Klimawandel, Wirtschaftkrise, dies alles lässt sich nicht von einem einzelnen Menschen lösen. Dazu braucht es  Zusammenarbeit und eben auch Gesetze. Ich bin auch öfters darauf angesprochen worden, weshalb gerade die CVP mit ihren christlichen Werten und ihrer Verantwortung für Gottes Schöpfung sich nicht stärker für die sozial Schwachen oder für den ökologischen Wandel einsetzt. Dies führt mich zu einer Grundsatzfrage: Was heisst überhaupt „christliche Politik“? Gibt es das ? Waren  nicht die Juden von Jesus enttäuscht, weil er eben keine Politik gemacht hat? „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist…“ waren seine Worte. Auch, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist, eine Aussage, die in der damaligen Zeit so unvorstellbar war, dass Jesu Lehre trotzdem von den Römern als subversiv und daher gefährlich eingestuft worden war.

Nun, heute leben zumindest wir Schweizerinnen und Schweizer in einem demokratischen Rechtsstaat, und an diesem wollen wir Christinnen und Christen auch tatkräftig mitwirken. Umso wichtiger ist es, den Begriff der „christlichen Politik“ zu  definieren, so weit dies überhaupt möglich ist. Für die einen könnte das nun bedeuten, von Gesetzes wegen allen Reichtum umzuverteilen, d.h. mittels höherer Steuern den Reichen wegnehmen und den Armen zu geben. Aber steht in unserer Verfassung nicht auch der Schutz des Eigentums, anders als z.B. in sozialistischen Staatsgebilden? Und kann ein Staat überhaupt „christlich“ sein? Ruft die Frohe Botschaft nicht vielmehr jeden einzelnen und jede einzelne zu christlichem Handeln auf? Muss nicht jeder Mensch selber mit seinem eigenen Gewissen christlich handeln? Ich denke, ja. Wir dürfen es uns nicht so einfach machen und das „Christ-sein“ an den Staat und die Politik delegieren. Das ist unsere ganz persönliche Aufgabe und Pflicht. Dazu gehört auch, dass sich jeder und jede nach seinen und ihren Kräften für die Gemeinschaft einsetzt, ein Ehrenamt übernimmt oder sonst wie zum Gelingen unseres Gemeinwesens beiträgt.
So auch bei der Umweltpolitik. Manche machen es sich einfach, in dem sie „grün“ wählen, in ihrem persönlichen Leben aber keine Abstriche an Komfort und Mobilität machen. Umweltschutz fängt bei jedem einzelnen an, verantwortungsbewusst mit den natürlichen Ressourcen umgehen, seinen Garten naturnah gestalten und sich überlegen, ob man im Winter wirklich Erdbeeren aus Südafrika essen muss. Der Staat muss die verbindlichen Rahmenbedingungen und Mindestanforderungen festlegen und allenfalls diejenigen belohnen, die möglichst ökologisch haushalten.
Die viel zitierten christlichen Werte müssen vom einzelnen Menschen gelebt werden, sonst sind sie nur hohle Floskeln. Das lässt sich durchaus auf die Politik übertragen: Politikerinnen  und Politiker,  die sich den christlichen Grundwerten verpflichtet fühlen, müssen auch dem entsprechend mit ihren Mitmenschen umgehen, diese respektieren, auch wenn sie andere Meinungen und andere Lebensentwürfe vertreten. Christliche Politik heisst, das Gesamtwohl im Auge zu behalten und nicht durch möglichst laute Provokationen um Aufmerksamkeit zu buhlen. In diesem Zusammenhang gilt es auch unseren demokratischen Instrumenten Sorge zu tragen. Wer das Initiativrecht für den Wahlkampf oder für seinen Eigennutz missbraucht, der riskiert ganz bewusst die Entwertung dieses so einzigartigen demokratischen Rechts.
Der Tonfall in der Schweizer Politik wird allerdings immer schärfer, die Fronten immer unversöhnlicher, besonders an den beiden Polen. Da die Politik aber immer nur ein Spiegel der Gesellschaft ist, lässt sich für die Zukunft unseres Zusammenlebens in unserem Land keine so gute Prognose stellen. Der Kampf der Kulturen ist bereits Realität. Was sich hier in der Schweiz als Verschärfung im Tonfall gegenüber Ausländern zeigt, äussert sich in anderen Ländern bereits in gewaltsamer Unterdrückung, wie die Verfolgung der Christen im Irak und in Ägypten zeigt. So schlimm ist es in unserem Land noch nicht, doch die Eckpfeiler unseres Bundesstaates, Freiheit, Toleranz und Eigenverantwortung, werden immer stärker durch Engstirnigkeit, falsches Sicherheitsdenken und Egoismus eingeschränkt. „Leben und leben lassen“, gilt nicht mehr, „Alles, was stört, muss weg“, ist die neue Devise. Ominöse „Freidenker“ zeigen ihre beschränkte Toleranz, in dem sie das Kreuz aus dem öffentlichen Raum verbannen wollen. Alle Besserverdienenden sind von vornherein „Abzocker“ und müssen zur Kasse gebeten werden. Jeder will möglichst schnell von A nach B fahren, aber bitte ja nicht am eigenen Haus vorbei. Dort soll die Strasse möglichst für den Verkehr gesperrt werden. Um einen Hund zu halten, braucht es jetzt einen Sachkundenachweis, für die Kindererziehung ist zum Glück noch keine Ausbildung obligatorisch. Da fragt aber auch niemand danach, ob die Kinder emotional verwahrlost vor den PC parkiert werden oder unter dem Druck überambitionierter Eltern fast zusammenbrechen. Hingegen, wenn dieses Kind fremdbetreut werden muss, dann braucht es sehr wohl einen Kursnachweis, weil die Eltern ja ihrem eigenen Verstand und ihrem Empfinden nicht trauen können… Der Staat schreibt uns in beinahe allen Bereichen vor, wie wir leben sollen und was für uns gut ist und verfasst seitenlange Reglemente und Verordnungen dazu. Das mag ja gut gemeint sein, führt aber zu einer völligen Bevormundung und Unfreiheit, von einer Aufblähung der Verwaltung ganz zu schweigen. Doch an dieser Entwicklung einfach der Politik Schuld zu geben, das wäre zu einfach. Es sind doch die Ansprüche und das übersteigerte  Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung, die hier ihren gesetzlichen Rahmen finden. Nach jedem Unfall wird doch gleich die Stimme laut: Wer ist schuld? Weshalb hat man hier nichts getan? Natürlich ist jedes tragische Ereignis eines zu viel, aber gerade auch als Christ und Christin muss uns doch einfach bewusst sein, dass sich nicht alles Unheil verhindern lässt und dass es auch ein Schicksal gibt und jedem seine eigene Lebensspanne bemessen ist. Deshalb aber gleich wieder etwas verbieten oder neu reglementieren, halte ich für falsch.
Das Ideal der Aufklärung, der mündige, verantwortungsbewusste und vernünftige Bürger, der muss auch wieder unser Ideal sein, gerade auch aus unserer christlichen Haltung heraus. Mein Glauben, mein Gewissen, meine Vernunft und mein Verantwortungsbewusstsein mir selbst und auch der Gesellschaft gegenüber sollen die Richtwerte meines Handelns sein. Dazu brauche ich keinen Staat, der mich mit Mahnfinger und Verbotstafeln gängelt.  Dazu brauchen wir aber auch keine Ideologen die uns das Heil versprechen und das Böse im Andern predigen.. Was wir brauchen ist normaler Sachverstand und Bürger die ihre demokratischen Rechte hochhalten und verteidigen.
Was also ist die Aufgabe einer christlichen Politik oder eines christlichen Staates? Die selbe Aufgabe jedes demokratischen Staatswesens: Durch Verfassung und Gesetz für Gleichberechtigung und Gleichbehandlung sorgen, die öffentliche Sicherheit bewahren und ein Schulsystem bereitzustellen, das unsere Kinder zu vernünftigen, verantwortungsbewussten, souveränen Menschen heranbildet. Bürger mit Sachverstand und Wissen, offen und kritisch, Bürger die für unsere Schweiz einstehen, Verantwortung tragen.
 Nur so ist gewährleistet, dass sich der Einzelne entfalten kann. Natürlich muss die Gemeinschaft der Bürger - der Staat auch ein soziales Netz, ein Gesundheitssystem und für die Sicherheit unsere grundlegenden Bedürfnisse abdecken. Alles andere ist zu überdenken und wenn nötig, anzupassen. Ein gesunder Staat nimmt nur das Nötigste von seinen Bürgern und schränkt sich selber ein.
Die Aufgabe jedes einzelnen Bürgers und jeder einzelnen Bürgerin aber ist es, die gleichen Freiheiten, die man für sich in Anspruch nimmt, auch den Mitmenschen zu zugestehen, nicht für jedes Problem Hilfe vom Staat zu verlangen sondern zuerst aus eigener Kraft tätig zu werden und seinen Teil zu einem Gelingen unseres Gemeinwesens beizutragen, sei es durch eigenes Engagement, sei es durch Unterstützung Hilfsbedürftiger, sei es auch nur durch ein Zurückstecken der eigenen Ansprüche. Um zum Anfang zurückzukommen: die CVP stellt die Eigenverantwortung ins Zentrum und erwartet von jedem einzelnen, aus Überzeugung ökologisch und sozial zu handeln. Sie will die dazu nötigen Rahmenbedingungen schaffen und Anreize geben. Es soll sich schliesslich lohnen, das Richtige zu tun!

Liebe Anwesende, wir stehen am Beginn eines neuen Jahres. Dies ist ja traditionell die Gelegenheit, um gute Vorsätze für die Zukunft zu fassen. Nehmen wir uns doch diese Ideale zu Herzen, und ich wünsche alle meinen Politikerkolleginnen und –kollegen, mich natürlich nicht ausgenommen, dass wir diese Aufgaben in unserem Alltag nicht vergessen. Denn was sich Bürgerinnen und Bürger zu beherzigen haben, gilt für Politiker, Entscheidungsträgerinnen und Personen in öffentlichen Ämtern erst recht. Damit wir unseren gesunden Menschenverstand walten lassen, wenn wir mit neuen Gesetzen, neuen Ansprüchen und neuen Forderungen konfrontiert sind und damit wir den Leitfaden, der uns das Christentum für unser Handeln bietet, nicht aus den Augen verlieren.

Ich wünsche Ihnen allen ein glückliches, gesundes und erfolgreiches neues Jahr!

Alexandra Abbt