Eintretensvotum zum Kreditantrag für das Hauptprojekt "Gemeindereform Aargau"

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrter Herr Regierungsrat,
geschätzte Kolleginnen und Kollegen

Wir stimmen heute lediglich über einen Kreditantrag für das Hauptprojekt GeRAG ab, das erst im Herbst in die Vernehmlassung kommt. Kein Grund zur Aufregung also, könnte man meinen, schliesslich können die Leitsätze und Massnahmen ja noch einige Änderungen erfahren.
Nun, mit der Zustimmung zu diesem Kleinkredit gibt der Grosse Rat aber grünes Licht für die Stossrichtung der Gemeindereform, und darum erlaube ich mir, diese genauer zu betrachten.

Grosser Aufruhr verursachte die Möglichkeit zu Zwangsfusionen, die der Kanton anordnen könnte. Offenbar war sich der Regierungsrat schon der Brisanz dieses Vorstosses bewusst, als er ihn als Postulat entgegengenommen hat. In der vorliegenden Botschaft möchte er dieses heisse Eisen lieber nicht anfassen und hat daher die Kompetenz dem Grossen Rat zugeschoben, wie wir der geplanten Massnahme 2 entnehmen können. Dabei bin ich aber ziemlich zuversichtlich, dass das Parlament diesen Zwangsartikel in der ersten Beratung versenken wird, sollte er nach der Vernehmlassung überhaupt noch in der Botschaft erscheinen.

Ebenfalls ist es richtig, über die Neugestaltung des Finanz- und Lastenausgleichs zu diskutieren, die Reduktion des Grundbedarfs darf kein Tabuthema sein. Es ist aber anzumerken, dass durch die Aufgabenteilung Kanton - Gemeinden der Finanz- und Lastenausgleich bereits auf eine neue Basis gestellt worden ist und im nächsten Jahr erstmals zum Tragen kommt.

Nein, bedenklicher finde ich etwas ganz anderes: die regierungsrätliche Haltung den kleinen und Kleinstgemeinden und ihren Verwaltungsangestellten gegenüber! Zu Beginn des Projekts GeRAG war in der Zeitung zu lesen, dass für den Regierungsrat die Grösse der Gemeinde nicht mehr im Zentrum stehe sondern nur ihre Funktionalität, was für mich auch das einzige ausschlaggebende Kriterium ist. Jetzt ist er aber offenbar wieder davon abgerückt, und die Einwohnerzahl ist eine der Punkte, die über Fusion oder Eigenständigkeit entscheiden. In Leitsatz 13 wird dies deutlich zum Ausdruck gebracht. Das Personal auf den kleinen Gemeindekanzleien ist also nicht in der Lage, professionell zu arbeiten? Bestimmt behalten unsere Allrounder in der Verwaltung eher den Blick für das Ganze, da sie vernetzt und in vielen Bereichen tätig werden müssen. Und was z. B. die Öffnungszeiten betrifft, so sind sie garantiert kundenorientierter als diejenigen der kantonalen Verwaltung…
Zudem hätte ich als Finanzministerin in meiner kleinen Gemeinde erheblich Mühe, der Gemeindeversammlung Mehrkosten von 30 % für ein Projekt zu beantragen, das für den einzelnen Bürger keine nachweislichen Vorteile bringt. In der Botschaft dürfen wir detailliert nachlesen, wie sich diese Kosten zusammensetzen. Vor allem die externen Dienstleistungen schlagen zu Buche, was ja einerseits beruhigend ist, da diese wirklich nur während der Dauer des Projektes in Anspruch genommen werden. Bei neu geschaffenen Verwaltungsstellen hingegen bleibt ein gewisses Unbehagen, ob diese Stellen nach Abschluss der Projektphase tatsächlich wieder reduziert werden. Fragwürdig für mich ist allerdings, wenn diese externen Dienstleister unter anderem sechs Schweizer Gemeinden über ihre Erfahrungen vor und nach der Fusion befragen. Erstens ist diese Zahl nicht repräsentativ und zweitens ist die Situation in anderen Kantonen kaum vergleichbar mit Aargauer Verhältnissen. Der oft angesprochene Kanton Glarus hat massive strukturelle und wirtschaftliche Probleme. Zudem sind die Gemeinden ganz anders organisiert, die Ortsgemeinden und die Tagwen nehmen die Funktionen von Einwohner –bzw. Ortsbürgergemeinden wahr, die Schul- und Fürsorgegemeinden arbeiten aber eigenständig und gehen schon traditionell über die Grenzen der Ortsgemeinden hinaus. Der Handlungsbedarf in der Gemeindelandschaft ist dort ein ganz anderer als in unserem Kanton. 
Es bleibt die Frage nach dem Nutzen für die einzelne Bürgerin und den einzelnen Bürger: müssen kleine Gemeinden fusionieren, entstehen neue Gebilde in gerade der Grössenordnung, in der die Vorteile eines überschaubaren Gemeinwesens wie fehlende Anonymität, stärkere Einbindung der Bevölkerung, soziale Kontrolle und erhöhte Mitbestimmung, wegfallen, aber nicht durch die Vorteile einer grossen Gemeinde wie gute Infrastruktur, ausgebaute Sozialdienste, guter Wirtschaftsstandort ausgeglichen werden. Dazu sind sie immer noch zu klein und allenfalls zu strukturschwach. Daran ändert eine Fusion nur wenig. Ein tiefer Steuerfuss hängt vor allem von der Attraktivität und der Lage einer Gemeinde ab. Diese Voraussetzungen kann auch eine Fusion nicht ändern.
Fusionen, die aus einem echten Bedürfnis und von unten her wachsen, sollen selbstverständlich nicht an finanziellen und organisatorischen Hürden scheitern. Jedoch die Massnahmen, die dazu benötigt werden, diese Hindernisse aus dem Weg zu räumen, wären aber auch wesentlich günstiger und ohne teure Expertisen zu haben, denn diese Probleme sind ja bekannt.

Der Verdacht liegt nahe, dass es bei diesem Projekt vor allem darum geht, die Anzahl der Gemeinden per regierungsrätlichem Druck drastisch zu reduzieren. Von Stärkung der Gemeindeautonomie kann zumindest im ersten Massnahmenpaket keine Rede sein. Es mutet daher schon seltsam an, dass die eine Massnahme, die den Gemeinden wirklich mehr Spielraum bringen könnte, erst im zweiten Paket realisiert werden soll, nämlich die Flexibilisierung der Gemeindeorganisation.

Ich bin nach wie vor der Überzeugung, dass die Funktionalität einer Gemeinde nicht von ihrer Grösse sondern vielmehr von ihrer Lage und ihrer Struktur abhängt. Daher kann ich mich mit der Stossrichtung dieses Projekts nicht  einverstanden erklären, sie widerspricht meinem Staatsverständnis und meiner demokratischen Grundhaltung. Ebenso habe ich aus finanziellen Überlegungen die erwähnten Vorbehalte. Ich lehne deshalb die beiden Kreditanträge in der Botschaft ab.

Alexandra Abbt, CVP, Islisberg

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