Demokratie und Gottvertrauen

Liebe Islisbergerinnen und Islisberger, liebe Gäste

Wie jedes Jahr treffen wir uns am traditionellen Dorffest. Es bietet Gelegenheit, die dörfliche Gemeinschaft zu pflegen und ehemalige Islisberger und Bekannte aus der ganzen Region wieder zu treffen. Gleichzeitig ist es auch Ausdruck unseres Zusammenhaltes und unseres funktionierenden Dorflebens, das wir ganz besonders ins Zentrum stellen, da wir nicht wie andere Gemeinden am 1. August, unserem Nationalfeiertag, festen. Einerseits ist das Fest am 31. Juli Ausdruck für die Ausdauer im Feiern und den Pragmatismus der Islisberger, weil alle am nächsten Tag ausschlafen können, andererseits zeigt es doch auch die Schwerpunkte, die wir gesetzt haben: erst die Familie und unser Dorf, danach die Region und der Kanton, und dann, sozusagen als Rahmen des ganzen, das Land, unsere Eidgenossenschaft. Schliesslich heisst es ja auch bei Jeremias Gotthelf: Zuhause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland. Obwohl mit Pathos formuliert, scheint mir dieser Ausspruch keineswegs veraltet: Was wir alle unseren Kindern in unseren Familien vorleben, wird weitergetragen und weitergelebt in der Gemeinde, in der Gesellschaft, im Staat.
Das ist nicht immer einfach und oft mit Anstrengung und Einsatz verbunden. Aber wie soll die nächste Generation zu mündigen und verantwortungsbewussten Staatsbürgern heranwachsen, wenn wir selbst dies nicht vormachen? Gerade ein solches Fest, wie wir es heute begehen, soll uns auch bewusst machen, worauf unsere Gemeinschaft und unser Staat gründet. Wir feiern die Eidgenossenschaft und unsere Demokratie, aber wenn wir nicht Sorge zu dieser Staatsform tragen, sind dies nur bedeutungslose Begriffe. Jeden Tag beim Zeitungslesen oder wenn wir die Tagesschau sehen, müssen wir doch erkennen, wie privilegiert wir sind. Und das meine ich nicht nur im wirtschaftlichen Sinn, denn der hohe Lebensstandart und die funktionierende Wirtschaft sind nur die Folgen einer sicheren und stabilien Staatsform wie der unseren, die ein optimales Entwicklungsumfeld bietet. Immer wieder wird uns doch vor Augen geführt, wie in anderen Ländern verschiedene Gruppierungen um die Vorherrschaft ringen, oft mit Gewalt und Terror, wie auch scheinbar demokratische Staaten mit Wahlbetrügereien und Korruption unterwandert werden. Welch bevorzugte Stellung hat da im Vergleich ein Schweizer Bürger, eine Schweizer Bürgerin, und wie leichtfertig gehen wir da mit unseren demokratischen Rechten und Pflichten um! Was sind sie uns noch wert? Was bedeuten sie uns? Diese Fragen müssen uns immer stärker beschäftigen. Ein grosser Teil der Bevölkerung ist nicht mehr bereit, Zeit und Energie zu opfern, um sich auf irgendeine Weise in unserer Demokratie zu engagieren. Auch ist oft das Interesse nicht mehr vorhanden, sich mit den zugegeben oft komplexen Abstimmungsvorlagen zu befassen. Diese Entwicklung finde ich beängstigend, denn sie stellt unser Milizsystem und unsere gesamte Demokratie in Frage. Demokratie, die Herrschaft des Volkes! Das heisst, wir alle sind an der Verantwortung für unseren Staat beteiligt. Übernehmen wir sie auch! Jeder und jede hat die Möglichkeit, unser Gemeinwesen mitzugestalten, unabhängig von der gesellschaftlichen Stellung, der Ausbildung und der finanziellen Mittel. Natürlich sind heutzutage die meisten vollumfänglich ins Berufsleben eingespannt. Es ist auch klar, dass nicht alle das selbe politische Engagement zeigen können und wollen. Aber zumindest ein gewisses Interesse den drängenden Problemen unserer Gemeinde, unseres Kantons und unseres Landes gegenüber sollte vorhanden sein. Denn jede Abstimmungsvorlage betrifft unser tägliches Leben und unsere Zukunft unmittelbar. Die immer häufigere Stimmabstinenz zeigt nämlich ganz konkrete Folgen: Da das als Desinteresse interpretiert wird und gleichzeitig der Ruf nach immer mehr Effizienz in der Politik laut wird, werden immer mehr Aufgaben den Parlamenten entzogen und in die Kompetenz der Regierungen eingezogen. Als Grossrätin erlebe ich dieses Vorgehen laufend. Den Gemeinden wird in vielen Bereichen die Fähigkeit der Aufgabenerfüllung abgesprochen, dem Grossen Rat oft die Sachkenntnis und Effizienz. Am liebsten würde die Regierung die anstehenden Probleme im Alleingang mit ihrer Verwaltung lösen, das ginge natürlich wesentlich einfacher und schneller. Die demokratische Entscheidungsfindung hat sich noch nie durch besondere Schnelligkeit ausgezeichnet, aber sie bringt am Schluss eine ausgewogene und mehrheitsfähige Lösung zustande und verhindert unausgegorene Schnellschüsse und Panikreaktionen, was auf längere Sicht meiner Meinung nach nur vorteilhaft ist. Eine weitere Tendenz der Regierung ist die flächendeckende Gleichmacherei, was den unterschiedlichsten regionalen Problemenstellungen und Strukturen niemals gerecht werden kann, aber natürlich einfacher zu verwalten ist. Selbstverständlich kann nicht jeder Tarif und jede verwaltungstechnische Massnahme durch die grossrätliche Beratung gezogen werden, dass wäre wirklich ineffizient. Aber es ist darauf zu achten, dass die demokratisch gewählten Vertreter der einzelnen Bezirke und Parteien in den wesentlichen Punkten mitreden können und dass sie im Gegenzug auch dafür sorgen, dass der Handlungsspielraum der Gemeinden nicht unnötig eingeschränkt wird. Andernfalls würde sich die Frage stellen, wozu es noch Gemeinderäte braucht, wenn alles vom Kanton vorgegeben und gleichgeschaltet ist. Da würde ein kantonaler Verwalter pro Gemeinde durchaus reichen. Im Mittelalter hat man einen solchen obrigkeitlichen Verwalter übrigens Vogt genannt...
Je mehr Bereiche von der Regierung, sei es auf kantonaler oder auf Bundesebene, vorgegeben sind, desto weniger kann der einzelne Bürger mitbestimmen, desto mehr sinkt auch das Interesse. Je weniger Interesse die Stimmbürger dem Staat entgegenbringen, desto mehr wird die Regierung selber bestimmen. Der Ausspruch "Die da oben machen sowieso, was sie wollen" ist zwar manchmal berechtigt, die Ursache dafür liegt aber in unserem eigenen Desinteresse begründet.
Der Sänger Toni Vescoli hat in den Sechziger Jahren das "Bürgerlied" veröffentlicht, in dem er aufführt, was einen verantwortungsbewussten, mündigen Bürger ausmacht. Daraus möchte ich gerne kurz zitieren, für mich ist in diesem Lied kurz und prägnant das Wesentliche der Demokratie zusammengefasst:
Ob du Jeans treisch oder Schale, ob uf d'Wänd gasch rot go male oder ob tuesch Gsetz erlah, ob du gasch gschieds Züüg go lehre oder ob tuesch Chübel leere, das chunnt nöd druf aa.
Aber ob du Neus tuesch schaffe oder nume Fernseh gaffe und dich fuul beriesle laa, ob du sälber tüegisch dänke oder nume Fähnli schwänke, ganz genau uf das chunnts aa.
Obs im Hirni echli tuet und im Härz viel Liecht und Muet, es Füür wo nie verlösche chaa, oder ob dich tuesch verchrüche und im Dunkle d'Seel verrüüche, ganz genau uf das chunnts aa.
Ob du dich tuesch engagiere, dini Chraft tuesch investiere und zu dinre Meinig stahsch, oder ob tuesch schlöfrig dänke, euse Herrgott wird’s scho länke, ganz genau uf das chunnts aa.
Ich glaube, das bringt es auf den Punkt und soll nicht nur den Jungbürgern mitgegeben werden, sondern uns alle wieder daran erinnern, was unsere Demokratie wirklich ausmacht. Dass unsere Gemeinde noch eigenständig funktioniert, zeigt, dass wir Islisbergerinnen und Islisberger unsere Bürgerpflichten noch ernst nehmen, dass uns unser Dorf, unser Kanton nicht gleichgültig ist, und dass immer wieder Einwohner bereit sind, ein Amt zu besetzen und sich zu engagieren, sei es in der Familie, im Verein  und im übrigen Dorfleben; durch dieses Engagement wird ja auch erst unser Dorffest möglich. Für diesen Einsatz möchte ich Ihnen allen danken. Dadurch leben Sie auch der nächsten Generation vor, wie man aktiv die Zukunft unserer Heimat gestaltet und dass jede Stimme zählt. Jedes Amt, jedes Engagement bringt ja neben der Arbeit auch eine ungeheure Bereicherung und das Bewusstsein, einen gewissen Einfluss auf den Lauf der Dinge einbringen zu können. Darum möchte ich Sie auffordern, sich auch weiterhin am Gemeinwesen zu beteiligen, sei es durch die Bekleidung eines Amtes, sei es durch Ideen und Anregungen oder natürlich auch Kritik. Wir wollen uns auch weiterhin nicht nur von oben diktieren lassen, sondern unseren Handlungsspielraum bewahren und auch wahrnehmen. Allerdings gilt es genauso zu akzeptieren, dass wir nicht alles beeinflussen und ändern können, dass wir keine absolute Sicherheit schaffen und die gesellschaftlichen Entwicklungen aufhalten oder umkehren können. Hier müssen wir im Vertrauen "euse Herrgott länke" lassen, wie es in Toni Vescolis Lied heisst. Genau darauf wird auch in unserer Landeshymne Bezug genommen, die ja im Unterschied zu vielen anderen Ländern als Psalm daherkommt und uns Bürgern zeigt, wo das Einflussgebiet der Demokratie endet und das Gottvertrauen beginnt. Ehe wir mit dem Gemischten Chor den Schweizerpsalm anstimmen, möchte ich daher meine Rede mit einem Segensspruch beenden, der uns in unserem staatsbürgerlichen Handeln leiten soll:
Gott schenke uns den Mut, das zu ändern, was wir ändern können
Gott schenke uns die Gelassenheit, das hinzunehmen, was man nicht ändern kann
Und Gott schenke uns die Weisheit, das eine vom anderen unterscheiden zu können.

Liebe Festgemeinde, ich wünsche Ihnen noch manche vergnügliche Stunde an unserem Dorffest und danke Ihnen ganz herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.